Zusammenfassung
Ohrgeräuschpatienten geben häufig Beschwerden aus dem psychosomatischen Bereich sowie
auch Probleme im Zusammenleben mit anderen Menschen an. In einer hypothesengenerierenden
Studie wollten wir prüfen, ob psychosoziale Probleme beim Empfinden und bei der Verarbeitung
von Ohrgeräuschen möglicherweise eine Rolle spielen. Wir untersuchten 48 Patienten
mit Ohrgeräuschen, davon 13 ohne und 35 mit Hörstörung. In der nach Alter, Geschlecht
und Sozialstatus parallelisierten Kontrollgruppe befanden sich eine gleiche Anzahl
von Patienten aus der Hals-Nasen-Ohren-Klinik ohne Ohrgeräusche und ohne Tumorerkrankung.
Als Kriterium wurden die Klagsamkeit, gemessen mit dem Gießener Beschwerdebogen (Brähler, Scheer, 1983), sowie die Neigung zu depressiver Stimmungslage, gemessen mit dem Beckschen
Depressionsinventar (Beck und Mitarb., 1981), ausgewählt. Wir fanden bei Ohrgeräuschpatienten im Vergleich
zu Patienten ohne Ohrgeräusch einen statistisch signifikant höheren Beschwerdedruck
bei vielfältigen, auch ohrfremden Symptomen. Sie wiesen einen erstaunlich hohen Depressionsindex
im Sinne einer klinisch bedeutsamen Depression auf, welcher jedoch stets unter den
Werten für endogene Depressionen lag. Die Ergebnisse werden auf ihre klinische Bedeutsamkeit
hin diskutiert. Im besonderen erscheint es uns wichtig, bei Patienten mit Ohrgeräuschen
nach weiteren Beschwerden im psychosomatischen Bereich zu fragen, die psychisch modulierte
Empfindungsstärke von Ohrgeräuschen offen anzusprechen und polypragmatisch zu behandeln.
Summary
Tinnitus patients often complain of psychosomatic disorders and of problems in social
life. We intended to prove the modulation of tinnitus perception by psychosocial factors.
We examined 48 tinnitus patients, 35 with and 13 without hearing loss. A control group
of 48 patients without tinnitus, without hearing disorder and without tumour disease
was adapted to correspond to the tinnitus group in respect of age, sex and social
factors. A quantitative assessment of complaints as well as of the intensity of depression
was made via questionaires (Giessener Beschwerdebogen and Beck Depression Inventory).
In tinnitus patients, we found a statistically significantly higher degree of complaints
even for non-otological symptoms. They were statistically more depressive than the
controls, but less than patients with endogenic depression usually are. Nevertheless,
in tinnitus patients it seems to be reasonable to inquire after general symptoms of
illness to assess whether cooperation with a psychiatrist is required before initiating
somatic treatment.